Mittwoch, 11. Januar 2023

Heiligt der Zweck die Mittel?Eine Stellungnahme

Interview in der Sächsische Zeitung vom 2. 1. 23

"Die Jungen haben Panik vor der Zukunft."

Gregor Gysi verteidigt einen Aktivisten der „Letzten Generation" vor  Gericht und warnt vor einer Radikalisierung.

Ökologische und soziale Gerechtigkeit schließen sich nicht aus, sagt der Linkenpolitiker und Bundestagsabgeordnete.
Im Interview äußert er sich auch zum Zustand seiner Partei.   

Herr Gysi, Sie haben Vertreter der „Letzten Generation" zum Gespräch in Ihr Büro eingeladen, verteidigen einen Aktivisten als Anwalt vor Gericht. Ist das Ihr später Erweckungsmoment als Klimapolitiker?
Ich habe den Eindruck, dass wir inzwischen 80 Millionen Klimaforschende in Deutschland sind. Die einen sagen, es passiert eine Katastrophe, die anderen sagen, dass das nicht stimmt ...

... und Sie?
Ich gehe zumindest davon aus, dass das Schlimmstmögliche eintreffen, könnte. Also müssen wir etwas dagegen tun. Diese Erkenntnis ist aber nicht erst bei diesem Treffen entstanden. Die Linkspartei hatte zur letzten Bundestagswahl ein ökologischeres Programm als die Grünen beschlossen. Auch wenn es bei uns ein bisschen gedauert hat bis dahin. Die Linke ist aus der sozialen Frage entstanden und nicht aus der ökologischen, deshalb haben sich viele bei uns erst mal wenig mit der ökologischen Frage beschäftigt.

Sind ökologische und soziale Gerechtigkeit für Sie ein Widerspruch?
Bei einer Politik, die stets beides bedenkt, nicht. Wenn ich ein Braunkohlerevier schließe, muss ich den Kumpeln sagen, mit welcher Arbeit sie am nächsten Tag ihr Geld verdienen. Das geht mit frühzeitigen Qualifizierungsmaßnahmen, da muss ich mit der Wirtschaft verhandeln und einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor schaffen. Wenn ich denen aber sage, dass sie ab morgen Arbeitslosengeld und dann Hartz IV kriegen, dann sagen die „Schönen Dank auch" und werden Gegner der ökologischen Nachhaltigkeit.

Die Gruppe „Letzte Generation" hat wenig mit den Braunkohlearbeitern gemein. Sie blockieren Kraftwerke, Tagebaue und Straßen. Warum verteidigen Sie diese radikalen Aktivisten?
Die Übernahme der Verteidigung dieses jungen Mannes war ein Ergebnis des Streitgesprächs in meinem Büro. Die juristische Frage dahinter ist interessant: Das Problem liegt in einer Abwägung zwischen der Versammlungsfreiheit und der Straßenverkehrsordnung. Außerdem verlangt der Straftatbestand der Nötigung, wegen dem die meisten Aktivisten angeklagt werden, Gewalt oder die Androhung davon. Das trifft auf Ankleben in meinen Augen nicht zu. Aber ich kann die Verärgerung der Menschen über die Blockaden sehr gut nachvollziehen. Ich will, dass die Aktionen möglichst schnell enden.

Ist es keine Form von Gewalt, wenn man Straßen blockiert und dann zum Beispiel Rettungswagen behindert und Menschenleben gefährdet?
Ich habe lange mit den Aktivisten über diesen Punkt gestritten. Sie haben mir versichert, dass in der Mitte der Straße immer Nicht-Angeklebte sitzen, um Rettungswagen, Feuerwehren und Polizei durchzulassen. Wenn sie das nicht täten, könnten sie wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht landen. Dann habe ich ihnen gesagt: „Ihr verursacht bewusst einen Stau!" Und sie antworteten: „Jede Demonstration verursacht einen Stau." Das stimmt natürlich.

Und das überzeugt Sie?
Die Aktivisten, mit denen ich gesprochen habe, sind selbst davon überzeugt. Ich habe aber vor allem etwas anderes aus dem Gespräch mitgenommen: Die jungen Menschen haben Panik vor der Zukunft. Wissen Sie, ich bin 74 Jahre alt. Den Klimawandel halte ich bis zu meinem Tod noch aus. Aber diese jungen Menschen haben Jahrzehnte vor sich. Die Aktivisten fühlen sich jedoch überhaupt nicht ernst genommen. Kaum jemand redet mit ihnen.

Das rechtfertigt Blockaden und Behinderungen?
Die Aktionen der Aktivisten werden immer radikaler, weil sie wissen, dass die Medien dann über sie und ihr Anliegen berichten. Es hat mit Demonstrationen mit Greta Thunberg angefangen, die aber kaum gewirkt haben. Dann kam das Festkleben, nun geht es schon gegen Kunstwerke, und es gibt Attacken auf Flughäfen. Das darf sich nicht weiter zuspitzen. Auch deshalb habe ich die Verteidigung übernommen, damit ich selbst ein anderes Mandat' zum Reden in dieser Sache habe.

Welche Gefahren sehen Sie, wenn sich die Aktivisten weiter radikalisieren?
Das wäre gefährlich: 1968 hatten wir eine protestierende Jugend in der Bundesrepublik, die kritisierte, dass die Geschichte des Nationalsozialismus kaum aufgearbeitet wurde, sie brachte auch die ökologische Frage auf die Tagesordnung. Aber es redete niemand mit ihnen. Die Bewegung radikalisierte sich immer mehr, und ein kleiner Teil wurde dann zur RAF. Diese Art von Radikalisierung müssen wir unbedingt verhindern. Mein Appell an Bundeskanzler Olaf Scholz und die Bundesregierung lautet deshalb: Redet bitte mit ihnen! Das wäre ein Zeichen der Stärke der Demokratie.

Sie haben, wie der Aktivist Tadzio Müller, Sorge vor dem Entstehen einer „Klima-RAF"?
Wir dürfen nicht überziehen: Diese Gruppe ist derzeit überhaupt nicht mit der RAF vergleichbar. Wenn man etwas aus diesen jungen Menschen macht, was sie überhaupt nicht sind, kann man sie aber leicht dahin drängen, dass sie so werden.

Ihr Mandant ist 50 Jahre jünger als Sie. Haben Sie Schuldgefühle, wenn er Ihnen von seiner Untergangsangst erzählt?
Meine Generation sollte insofern ein Schuldgefühl haben, als dass wir uns zu wenige Gedanken über die Zukunft dieser jungen Menschen machen. Es reicht nicht, dass wir nur Gegenwartspolitik betreiben. Warum führen wir nicht ein Tempolimit ein? Die Mehrheit der Deutschen will das. Neben Deutschland sind nur noch Länder wie Nordkorea und Afghanistan ohne Tempolimit. Mein Eindruck ist: Noch kann man mit diesen jungen Menschen reden. Diese Zeit müssen wir nutzen. Mit Fanatikern wie damals von der RAF wird gar kein Gespräch mehr möglich sein.

Die Linke ist an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Man könnte sagen: Sie sind selbst kurz vor Kleinstpartei.
Meine Partei ist in einer wirklichen Krisensituation. Wir müssen uns auf fünf Fragen konzentrieren und kein Laden für 1.000 kleine Dinge sein. Das erste Thema ist die reale Friedenspolitik, das zweite die soziale Gerechtigkeit, das dritte ökologische Nachhaltigkeit, das vierte ist die Gleichstellung von Frau und Mann und das fünfte Thema die Gleichstellung von Ost und West. Die Denunziationen und der öffentliche Streit müssen aufhören.

Mit Sahra Wagenknecht spielt eine andere prominente Linken-Politikerin sogar mit dem Gedanken einer eigenen Partei. Ist die Partei denn noch zu retten?
Ich führe Gespräche mit Sahra Wagenknecht, wir müssen mal sehen, wie weit wir damit kommen, Sahra und ich. Gerade macht meine Partei zu 90 Prozent Selbstbeschäftigung und zu zehn Prozent Politik für die Bevölkerung. Das müssen wir drehen.

Sorgen Sie sich eigentlich, dass Sie mit Ihrer neuen Nähe zu den Klimaschützern die schon erwähnten.Kohlekum-pel und viele andere linke Stammwähler besonders im Osten des Landes verprellen könnten?
Es gibt gerade im Osten ein tiefes Misstrauen gegen den erhobenen Zeigefinger. Deshalb könnte mein Engagement erst zerstören, dann aber aufbauen. Deshalb spreche ich so viel darüber: In der Hoffnung, dass die Braunkohlekumpel das lesen, mich verstehen und mir „verzeihen". Wir haben als Partei mit der Vereinigung mit der WASG unsere Ost-Identität teils aufgegeben. Das war falsch. Dadurch haben wir der AfD indirekt zu viel Feld überlassen. Das ändern wir gerade wieder, auch mit vielen Kundgebungen im Osten.

Worin liegt denn Ihrer Meinung nach dieses von Ihnen beschriebene Misstrauen im Osten von Deutschland begründet?
Die Bundesregierung hat sich bei der Einheit zu wenig für die DDR interessiert. Sie wurde nicht satt vom Gewinnen. Das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen wurde damals zerstört, weil man auch Gutes wie eine bessere Gleichstellung von Frau und Mann in der DDR einfach ignorierte, viele Unternehmen einfach zerschlagen hat. Dafür gab es nie eine Entschuldigung. Dieser Schmerz sitzt bei vielen so tief, dass es gerade gegen diese Belehrungen zur Lebensweise dieses Misstrauen gibt.

Andersherum hört man im Osten oft, gerade von rechts, dass sich Menschen wieder an die DDR erinnert fühlen. Ihnen wird gesagt, sie sollen wegen des Klimas verzichten, weniger Fleisch essen, weniger fliegen, weniger konsumieren ...
Na, mein Handwerker hat neulich gesagt, er kommt wieder, wenn das nötige Teil in neun Monaten geliefert ist. Da habe ich gesagt: Wer hat denn 1990 beschlossen, dass wir uns langsam wieder zur DDR zurück-entwickeln? Auch die ganze neue Preisde-ckelungs- und Planungspolitik ist doch interessant. Als die Linke vor einiger Zeit einen Mietendeckel gefordert haben, wurde gesagt, das sei kommunistischer Unsinn. Jetzt beschließt die Bundesregierung lauter Deckel.

Müssen die Menschen persönlich stärker verzichten, damit Deutschland bis 2035 klimaneutral wird, wie es Ihre Partei will?
Ich bin immer gegen Zwang, außer es muss unbedingt sein. Auch das Wort Verzicht finde ich schwierig: Niemand hört gern, dass es ihm schlechter gehen soll. Deshalb muss man den Leuten erklären, warum es ihnen besser geht, wenn sie auf A verzichten und dafür B machen. Dafür müssen wir ökologische und gesündere Alternativen anbieten und von der Verzichts-Rhetorik wegkommen.


■    Das Gespräch führte Julius Betschka.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen